Wie wir durch Co-Kreation Hamburgs längsten Park zum Leben erweckten
Der Mitwirkungsprozess Deine Geest
Von einer mobilen Open-Air-Küche für interkulturelle Kochvergnügen über ein Fledermausparadies samt Liegewiese bis zu einem Boulderfelsen für Groß und Klein: In dem co-kreativen Mitwirkungsprozess »Deine Geest« entwickelten Bürger:innen gemeinsam mit Expert:innen aus der Landschaftsarchitektur zwölf vielfältige Projekte für die Landschaftsachse Horner Geest – das zuvor eher unbekannte grüne Band in Hamburgs Osten wuchs damit ganz nebenbei zum längsten Park der Stadt zusammen.
In Zeiten ständig wachsender, dichter werdender Städte steigen auch die Erwartungen an das »Dazwischen«: Das Stadtgrün übernimmt dabei – wie alle Freiräume – vielfältige Funktionen: klimatische, ökologische, gesundheitliche und soziale. Parks, Wälder, Grünzüge und Wiesen bieten Räume für Begegnung und Bewegung, sorgen für saubere Luft und kühlere Temperaturen an heißen Tagen, steigern die Wohnqualität und das Wohlbefinden der Menschen. Kurzum: Urbanes Grün macht unsere Städte lebenswerter – und ist gleichzeitig ein knappes, umkämpftes Gut. Um gemeinschaftlich getragene Antworten auf die immer komplexer werdenden Anforderungen an Grünräume zu finden, braucht es co-kreative Beteiligungsverfahren mit maßgeschneiderten Formaten, die Alltags- und Expert:innenwissen zusammenbringen – wie der mit dem Polis Award 2019 ausgezeichnete Mitwirkungsprozess »Deine Geest« beweist.
2016
Hamburg
Stadt Hamburg
Tristan Lannuzel
Deine Geest: Ideen gesucht für Hamburgs längsten Park
Die Landschaftsachse Horner Geest bezeichnet ein neun Kilometer langes grünes Band vom Hauptbahnhof bis zum Öjendorfer Park im Osten Hamburgs. Der Grünzug erstreckt sich damit von der innersten Stadt bis an den Landschaftsrand, verbindet fünf Stadtteile und unterschiedliche Milieus. Wer die Achse entlangspaziert findet sich in völlig verschiedenen Welten wieder: vom dicht bebauten Zentrum bis hin zu Einfamilienhausgebieten. Vor dem Projektauftakt war der Grünzug vielen Hamburger:innen nur in Teilen vertraut. Gemeinsam mit der Hamburger Behörde für Umwelt und Energie machten wir uns daher auf den Weg, die Horner Geest als durchgängig erlebbaren Grün- und Sozialraum in die Köpfe der Menschen zu tragen. Das Ziel: Bis Ende 2019 soll hier Hamburgs längster Park entstehen – mit fortlaufenden Rad- und Fußwegen, Bäumen, Wiesen und Orten für verschiedene Aktivitäten unter freiem Himmel. Neben einem übergeordneten landschaftsplanerischen Konzept waren hierfür vor allem gute Ideen gefragt, die den Park mit Leben füllen.
Das Fundament guter Mitwirkungsprozesse ist ein glaubwürdiges Beteiligungsversprechen
Der im Juni 2016 gestartete Mitwirkungsprozess »Deine Geest« rief Bürger:innen auf, eigene Projekte für den einmaligen Freiraum zu entwickeln und reservierte für deren Umsetzung insgesamt eine Million Euro – ein ganz besonderes Beteiligungsversprechen. Statt bei einer reinen Ideensuche zu bleiben, ging der Prozess weiter und brachte Bürger:innen mit Fachleuten der Landschaftsarchitektur und Vertreter:innen der Verwaltung auf Augenhöhe zusammen, um erste Ideen auszuprobieren, weiterzudenken und zu umsetzbaren Projekten auszugestalten – co-kreativ statt top-down. In einem komplexen, mehrstufigen Verfahren entstanden innerhalb von acht Monaten maßgeschneiderte Projekte für den neuen Stadtraum. Sie zeigen, wie vielseitig Grün- und Freiräume sein können – von einer mobilen Kochstation und einem Fitnessparcours über einen Treffpunkt für Jugendliche mit Breakdancebühne und Sitzelementen bis hin zu einer riesigen Schaukel für Groß und Klein und einem »Kletteoriten« für Boulderfans. Die Bürger:innen hatten dabei nicht nur die Möglichkeit, eigene Ideen vorzuschlagen und mit den Landschaftsplaner:innen weiterzuentwickeln, sondern konnten online und vor Ort gleichberechtigt mit einer Fachjury darüber abstimmen, welche zwölf Projekte letztlich für eine Million Euro Fördergeld in die Tat umgesetzt werden sollen. Der verlässliche finanzielle Rahmen und die institutionelle Verankerung des Prozesses verliehen »Deine Geest« ein besonders glaubwürdiges Beteiligungs- und Umsetzungsversprechen: Zu jeder Zeit war transparent, welche Bereiche die Teilnehmenden innerhalb des Prozesses mitgestalten können, was mit Ihren Ideen und Beiträgen passiert und wer am Ende entscheidet.
Ambitionierte Co-Kreations-Prozesse brauchen eine gute Choreografie
Eine Million Euro für die Umsetzung von Bürger:innenprojekte, ein neun Kilometer langer, kaum bekannter Park, fünf Stadtteile, tausende Anwohner:innen verschiedenster Milieus mit ganz unterschiedlichen Ansprüchen an die Landschaftsachse und acht Monate Zeit, um gemeinsam mit den Bürger:innen zwölf gemeinschaftlich getragene Projekte zu entwerfen: »Deine Geest« war ein ambitionierter Prozess mit vielen Herausforderungen. Um solche Prozesse zum Erfolg zu führen, braucht es eine durchdachte Choreografie: intuitiv aufeinander aufbauende Phasen, ein agiles Bespielen verschiedenster Kommunikationskanäle – von Social Media bis Plakatierung – und die richtigen Instrumente. Für jede Phase von »Deine Geest« entwickelten wir vielschichtige Formate der Mitwirkung und Kommunikation, um möglichst viele verschiedene Anwohner:innen einzubeziehen: von der Online-Befragung über die Vor-Ort-Präsenz bis hin zu performativen und spielerischen Elementen.
Besonders die Formate der aufsuchenden Beteiligung variierten und passten sich an den jeweiligen Gegebenheiten und Menschen an: So gab es beispielsweise eine Abendveranstaltung in einer Buchhandlung und eine Schafwanderung entlang der Achse. Daneben unternahmen wir einen Spaziergang mit einem Lastenrad – gefüllt mit lokalen, kulinarischen Köstlichkeiten –, trafen einen Ornithologen, der den Anwesenden die heimischen Vogelarten näherbrachte und standen Anwohner:innen auf Wochenmärkten Rede und Antwort. An verschiedenen frequentierten Orten der Landschaftsachse stolperten Bürger:innen plötzlich über weiße Ideenzelte. Hier saßen wir im Frühsommer mit Passant:innen auf Sitzsäcken aus Stroh zusammen, informierten über den Prozess und ermutigten sie mit ihren Ideen zur Entwicklung von Hamburgs längstem Park beizutragen. Wurde deutlich, dass bestimmte Instrumente nicht oder noch nicht ausreichend funktionierten, wurden andere ausprobiert, Kanäle verstärkt oder anders bespielt. Die vielfältigen Angebote boten Bürger:innen die Möglichkeit, die Landschaftsachse noch einmal ganz anders kennenzulernen – eine neue Verbundenheit zur Horner Geest war geschaffen.
Co-Kreation bedeutet vor allem eines: gemeinsam gestalten
Um die gewählten Ideen zu technisch, politisch und finanziell umsetzbaren Projekte auszuarbeiten, galt es das Alltagswissen der Bürger:innen mit dem Fachwissen der Expert:innen zusammenzubringen. In drei offenen Werkstätten verfeinerten Bürger:innen gemeinsam mit Landschaftsarchitekt:innen und Fachleute aus der Behörde für Umwelt und Energie sowie dem Bezirksamt Hamburg die mitunter noch skizzenhaften Ideen zu tragfähigen Konzepten. Das Alltagswissen der Menschen war wichtig, um Bedarfe zu präzisieren, zu verorten und kreativ anzureichern. Keiner kennt die Bedarfe, Gegebenheiten, Gewohnheiten und verborgenen Trampelpfade so gut wie die Menschen, die vor Ort wohnen, arbeiten und regelmäßig ihre Freizeit verbringen. Das Fachwissen wiederum war unverzichtbar, um die Projektideen inhaltlich anzureichern, zu strukturieren, weiter auszuarbeiten und letztlich abstimmungs- und realisierungsfähig zu machen. Fachwissen und Alltagswissen beflügelten sich und erschufen in neugierigen und respektvollen Diskussionen Neues – ein Lernprozess für alle Beteiligten. Insbesondere für die Fachleute ist konsequente Co-Kreation immer auch verbunden mit der Reflexion des eigenen Rollenverständnisses. Bin ich bereit, die Bürger:innen mit meinen fachlichen Fähigkeiten zu unterstützen, anstatt alleine für Idee und Gestaltung verantwortlich zu zeichnen? Kann ich Verantwortung für ein Projekt übernehmen, auch wenn ich nicht von Beginn an Autor:in war? Letztlich zählt die Bereitschaft, mit anderen Akteur:innen kollektiv die Autor:innenschaft zu teilen – ein gemeinsames Ringen, um schlussendlich das beste Projekt zu entwickeln.
Gemeinsam erarbeiteten Fachleute, Behörden und Bürger:innen zwölf von einer breiten Öffentlichkeit getragene Projekte, die durch das stetige Wechselspiel aus Fach- und Alltagswissen an Qualität gewannen. Der Mitwirkungsprozess prägte damit nicht nur die Gestaltung der Horner Geest, sondern gab der Landschaftsachse auch ein Gesicht: Aus einem kaum bekannten Grünzug wurde Hamburgs längster Park.